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fliegerbreit
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brrrr ist das kalt hier

 
Der Text ist ein leicht editierter Facebookpost, den ich als Antwort auf einen Kommentar von John Pilger im Guardian geschrieben habe, den ein Freund verlinkt hat. Hat ganz gut gepasst, ich wollte schon länger etwas schreiben darüber, dass ich mich wundere, dass ein Mann wie Wladimir Putin scheinbar allein deswegen, weil er von westlichen Medien und Politikern aus durchsichtigen Gründen verteufelt wird, von oppositionell denkenden Menschen in Westeuropa in der gleichen unreflektierten Weise idealisiert wird. Mit anderen Worten: wie ein Konflikt wie in der Ukraine ganz schnell das "ja, aber", die Zwischentöne, das Differenzierte und das Dialektische nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in vielen Köpfen ausradiert.

John Pilger hat hat recht, wenn er schreibt, dass die Berichterstattung im Westen einseitig ist. Er hat mit ziemlicher Sicherheit auch recht wenn er schreibt, dass Dinge verschwiegen, kleingeredet oder unter den Teppich gekehrt werden. Er hat recht, wenn er schreibt, dass die Gefahr durch die ukrainischen Neo-Nazis von offizieller westlicher Seite wahrscheinlich unterschätzt wird.
Aber die antiamerikanische Verschwörungsscheiße, die John Pilger aus seinen Teilwahrheiten konstruiert ist so hanebüchen, dass er damit seine immerhin halben Wahrheiten völlig entwertet. Natürlich unterstützt die CIA die ukrainische Regierung, jedenfalls wären sie blöd wenn sie's nicht täten. Und natürlich lässt die ukrainische Regierung die Unterstützung zu, sonst könnten sie ja gleich als Ganzes den Antrag auf Aufnahme in die russische Föderation stellen.

Ja, die Regierung in Kiew hat eine rechtsradikale Partei dabei, die in der Bevölkerung wenig Unterstützung genießt und eine viel zu große Rolle spielt als ihr zusteht. Aber die ukrainische Regierung deswegen als zur Gänze "faschistisch" einzustufen ist lächerlich. Die ukrainische Regierung ist an die Macht gekommen, weil die Bevölkerung genug davon hatte, sich von Kleptokraten und Oligarchen ausnehmen zu lassen. Weil sie genug davon hatte, als Europäer zweiter Klasse behandelt zu werden - und als solche auch von westlichen Geschäftemachern ausgenommen zu werden - man denke nur an den Menschenhandel in westliche Bordelle.

Die Menschen haben auf dem Maidan demonstriert, weil in kaum einer politischen Partei in der Ukraine brauchbare Alternativen zu finden waren, und die Situation mit jeder Wahl nur noch schlimmer wurde. Sie haben sich nicht an ihr Wahlvotum gebunden gefühlt, weil die ukrainischen Regierungen der letzten zwei Jahrzehnte demokratische und rechtliche Mindeststandards außer Acht gelassen haben. Jetzt herumzujammern, dass die derzeitige Regierung in der Ukraine nicht völlig legitim an die Macht gekommen ist (ich glaube Gysi, den ich im übrigen sehr schätze, hatte irgendwas gesagt von 74,8% statt der erforderlichen 75% der Abgeordnetenstimmen) ist Erbsenzählerei auf Bahnsteigkartenniveau. Und jemanden wie Janukowitsch hinterher zum Demokraten hochzulügen, ist nichts anderes als heuchlerisch. Wer die Maidan-Demonstrationen als CIA-gesteuerten Putsch hinstellt entmündigt die ukrainische Bevölkerung, nicht nur die in Kiew, auch die in den anderen Städten in der gesamten (!) Ukraine, die zu Maidan-Zeiten für ihre Freiheit auf die Straße gegangen ist.

Dass die Art von Freiheit wie sie der Westen vor sich herträgt, gerade nach außen heuchlerisch und verlogen ist, ist keine Frage, dazu genügt ein Blick nach Lampedusa. Und dass große Teile der Bevölkerung in der Ukraine mit dem EU-Abkommen wohl auch nicht sonderlich glücklich geworden wären, ebensowenig. Aber immerhin kann der gute John Pilger den Schwachsinn schreiben, den er schreibt, ohne Angst haben zu müssen, dass es ihm so ergeht wie Anna Politkowskaja. Und immerhin könnte man die ukrainische Bevölkerung, um die es in dieser ideologisierten Debatte anscheinend am allerwenigsten geht, auch ihr Schickal selbst in die Hand nehmen lassen. Zum Beispiel anhand der Wahlen, die die ukrainische Revolutionsregierung gern am 25. Mai im ganzen Land ausgerichtet hätte, nur wenige Monate nach ihrer Machtübernahme.

Ich halte es für hoch wahrscheinlich, dass das Bild von marodierenden Nazi-Banden, das Pilger zeichnet, zumindest einen wahren Kern hat. Aber sich die Faschos auf der einen Seite anzuschauen und auf der anderen Seite jemanden wie Putin als demokratischen Friedensengel hinzustellen ist leider hochgradig lächerlich. Remember Pussy Riot? Remember die Homophobie-Gesetze? Die Verhaftungswellen in der Opposition? Die Rants, weil im Fernsehen eine Frau mir Bart auftritt? Die brutale Entmündigung und Ausbeutung der Bevölkerung von Sotschi? Die Kriege gegen Georgien und in Tschetschenien? Und genauso ist es hochgradig lächerlich, so zu tun, als bestünden die russischen Truppen, die in die Ukraine einmarschiert sind, aus friedensbewegten Birkenstockträgern. Oder als seien russische Truppenabzüge schon allein deshalb wahr, weil Putin sie im Fernsehen ankündigt.

Und ist Putin wirklich der Einzige, der vor den Faschoparteien im Westen warnt, wie John Pilger schreibt? Warum finanziert er sie dann, die FPÖ, die Jobbik, die bulgarischen Nazis, überhaupt fast alle außer die ukrainischen?? Und wenn das mit der Finanzierung nur ein Gerücht ist, warum stehen sie dann alle so treu zu ihm, dem glorreichen Antifaschisten? Aus Angst? Aus Liebe? Oder vielleicht doch, weil sie eine Straflager-Demokratie a la Putin ganz nett fänden, zumindest wenn sie und ihre westlichen Oligarchenfreunde am Ruder sind?

Sorry, bei aller Notwendigkeit, die andere Seite der Medaille zu beleuchten: das Bild "hier von der CIA ferngesteuerte Nazis, dort antifaschistische Freiheitskämpfer" hat sich der gute John Pilger wohl aus dem Kalten Krieg herüber gerettet. Ich kann meine erste Diagnose nur bestätigen: selten so einen Bullshit gelesen.

Dieser Text war ursprünglich eine auf vier Posts aufgeteilte Antwort auf diesen Beitrag von Martin Blumenau auf fm4.orf.at. Weil er sich aber genauso auf die ganze öffentliche Debatte wie auf Blumenaus Geschichte bezieht, poste ich ihn hier, leicht modifiziert, nochmal als Blog.



Uli Hoeneß ist natürlich nicht "nur das", als was du ihn bezeichnest. Er ist zum Beispiel nie einer gewesen, der Menschen, die am Boden liegen noch extra eine mit gibt. Im Gegenteil, inzwischen dürfte hinlänglich bekannt sein, dass es ohne Uli Hoeneß den FC St. Pauli, Borussia Dortmund, 1860 München und noch ein paar andere Vereine vielleicht nicht mehr geben würde, dass er nicht einem, sondern vielen ehemaligen Spielern in schwierigen Lebenslagen beigestanden ist (und wir reden hier nicht von Liebeskummer sondern von komplett versoffenem Vermögen, schweren Autounfällen und ähnlichem).
Bei allem Patriarchengehabe und bei aller fehlenden Demut, die Hoeneß (nicht nur) hier zeigt: so jemanden lässt man nicht fallen in so einem Moment. Was wäre das bitteschön für ein Zeichen gewesen?

Klar könnte auch ein Uli Hoeneß drauf kommen, dass zur Schuldeinsicht ein wenig mehr gehört als einmal leise "sorry" zu sagen. Und klar ist es etwas einfältig, auf alle Herausforderungen dieser Welt immer nur mit dem Kraftmeier- und "mia san mia"-Reflex zu reagieren.

Aber man kennt das ja: wenn ein Patriarch Schwäche zeigt, dann fällt die Meute über ihn her, wie weiland bei Christian Wulff gut zu beobachten war, der jetzt wegen 750 € vor Gericht steht. Und wie es auch bei Uli Hoeneß schon zu sehen war, als in der Daum-Kokain-Geschichte alle kollektiv auf ihn eingedroschen haben, bis Daums Haartest dann die Meute zum Verstummen gebracht hat. Ich kann mich nicht erinnern, dass auch nur einer der Hauptakteure, die damals öffentlich Öl ins Feuer gegossen haben, sich hinterher auch nur ein leises "sorry" abgerungen hätte.

Nein, Mitleid muss man mit Uli Hoeneß keines haben, er liefert schon seit längerem ein typisches Beispiel für die Selbstüberschätzung eines Patriarchen. Und dass die Zeit des Moralapostels Uli Hoeneß vorbei ist, darüber kann man auch dann froh sein, wenn man die Probleme, die er in seiner selbstgerechten Art angesprochen hat, trotzdem ernst nimmt.

Was die von Dir angesprochene öffentliche Hygiene und Ethik betrifft: dass man Steuerhinterziehung nicht mehr als Kavaliersdelikt begreifen sollte, darüber sind wir uns natürlich einig, aber ist es tatsächlich an der Mitgliederversammlung des FC Bayern, hier den gesellschaftlichen Wertewandel öffentlich zu vollziehen? In welcher Form hättest du dir das vorgestellt? Dass man den langjährigen Manager und Präsidenten von der Bühne buht?

Und was ist das dann für eine Ethik (der Begriff "öffentliche Hygiene" passt in dem Zusammenhang tatsächlich besser), wenn man Menschen, die Scheiß gebaut haben - und Uli Hoeneß ist ja kein Mafiaboss, sondern ein Steuerhinterzieher wie viele andere auch - von einem Moment auf den anderen wie Aussätzige oder Berufsverbrecher behandelt? Er wird seinen Prozess bekommen und vielleicht auch in den Knast gehen, aber inwiefern entwertet es das, was er für den FC Bayern getan hat?

Ich bin mir auch nicht sicher, ob von denen, die derzeit öffentlich über Uli Hoeneß' moralische Integrität ihre Urteile fällen, wirklich alle stets ihre Steuern brav abgeliefert haben. Ich wage sogar zu behaupten, dass in der Gesamtheit der Kommentare zu ihm deutlich mehr Heuchelei als gerechte Empörung steckt. Natürlich hat nicht jeder Kindergärten oder Krankenhäuser verheimlicht, aber Moral fängt im Kleinen an, nicht erst bei 2,3 Millionen. Und um Moral geht es ihnen ja, angeblich, oder vielleicht doch nur um die gleiche Selbstgerechtigkeit?

Uli Hoeneß mit Kweku Adoboli zu vergleichen, und damit bin ich jetzt wieder bei deinem Kommentar, ist allerdings ein schlechter Witz, denn erstens hat Hoeneß nicht das Geld anderer Leute verzockt, sondern höchstens sein eigenes (wobei er ja die Probleme bekommen hat,vweil er es eben nicht verzockt sondern vermehrt hat), und zweitens sind 2,3 Millionen nicht "fast schon" 2,3 Milliarden, sondern ziemlich genau 0,1% davon.

 
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